Postevangelikale Teil 2
Pfarrer Stefan Kym
Im letzten relevant hatten wir das Thema: Wer sind die «Postevangelikalen» im Zusammenhang mit dem Thea: Dekonstruktion. Hiermit möchte ich das Thema mit einem Interview vorerst abschliessen.
Frohes Vertiefen wünscht Stefan Kym
​
Glaubensvermittlung im YouTube-Format bietet der Theologe Markus Voss mit seinem Kanal «Mach dich #bibelfit!». Mit IDEA-Reporter Karsten Huhn sprach er über die Kerninhalte des Christentums – und seine Kritik an der
Theologie von «Worthaus».
IDEA: Herr Voss, wie wird man bibelfit?
​
Voss: Lesen Sie die Bibel häufig, lesen Sie sie viel und lesen Sie sie ganz!
Ihre Antwort klingt einfach. Das schaffen aber die wenigsten.
Wenn ich jeden Morgen zwei Kapitel und jeden Abend zwei Kapitel in der Bibel lese und das ein paar Wochen durchziehe, komme ich in eine Routine. Dann wird in meinem geistlichen Leben viel passieren.
Sie begnügen sich aber nicht mit dem Bibellesen. Unter «Mach dich #bibelfit» bieten Sie YouTube-Videos, Hörbücher und Arbeitsblätter zur Bibel an. Wozu der ganze Aufwand?
Ich hoffe, damit einen positiven Beitrag für die Christenheit in Deutschland zu erreichen. Ich merke, dass viele Christen verunsichert sind, besonders im Gespräch mit Atheisten oder Muslimen. Da wollen wir Hilfe leisten. Mit der
Zeit haben wir unser Angebot erweitert und beschäftigen uns zum Beispiel mit den Kernfragen des Glaubens, die wir von den Randthemen unterscheiden, bei denen es kein Problem ist, wenn Christen dazu unterschiedlicher Meinung sind.
​
«Wie komme ich in den Himmel?».
Uns geht es um die unverzichtbaren Bestandteile des Christentums, die unabhängig von allen Denominationen gelten, Im nächsten Jahr bringen wir deshalb ein Buch mit dem Titel «Basics» heraus, in dem wir die Grundlagen des Glaubens erklären. In welchen Themen sollten Christen einig sein? Unverhandelbar sind zum Beispiel das stellvertretende Sühneopfer Christi, die Zweinaturen-Lehre, also dass Jesus sowohl wahrer Mensch als auch wahrer
Gott ist, und dass es ein Jüngstes Gericht geben wird, bei dem Jesus Christus die Lebenden und die Toten richten wird.
Warum ist das alles unverhandelbar?
Jesus fordert von uns: «Folge mir nach!» Was er sagt, ist für uns gültig und bindend. Wir können die Themen, über die Jesus immer und immer wieder gesprochen hat, nicht einfach über den Haufen werfen und trotzdem behaupten,
wir seien Christen. Das wäre so, als wenn ich einem Vegetarierverein beitrete und esse trotzdem täglich meine Rostbratwurst. Ein zweiter Grund: Im Christentum geht es darum, wie schuldige Sünder beim Jüngsten
Gericht freigesprochen werden können. Wenn ich aber gar nicht schuldig bin oder es kein Jüngstes Gericht gibt, dann brauche ich auch kein Christentum.
Und welche Fragen sind verhandelbar?
Zum Beispiel, welche Instrumente man im Gottesdienst spielt oder wie man eine Gemeinde leitet, also alles, was nicht heilsentscheidend ist. Oder anders ausgedrückt: Wir sollten unterscheiden zwischen Themen, die vielleicht biografisch oder emotional einen hohen Stellenwert für uns haben, und Themen, die bei Jesus einen hohen Stellenwert haben.
Eines Ihrer meistgeklickten Videos beschäftigt sich mit der «Dekonstruktion durch Worthaus». Darin kritisieren Sie eine der beliebtesten christlichen Plattformen. Muss das sein?
Ja, das musste sein. Zur Entstehung: Ich kannte «Worthaus» vorher nicht. Unser Bibelfit-Büro hat aber sage und schreibe 85 Leserbriefe und E-Mails zu «Worthaus» bekommen. In einem Brief wurde zum Beispiel von einem Gemeindeältesten berichtet, der begann, «Worthaus» zu hören, und innerhalb weniger Monate sein Amt niederlegte, aus der Gemeinde austrat und beschloss, nicht mehr als Christ zu leben. Solche Geschichten sind uns dutendfach begegnet. «Worthaus» hat so destruktive geistliche Auswirkungen auf Christen, dass wir uns das genauer anschauen wollten.
Was ist zerstörerisch an der «Worthaus»-Theologie?
Zunächst: Es gibt unterschiedliche «Worthaus»-Referenten, die unterschiedliche Standpunkte vertreten. Die zentrale Persönlichkeit ist sicher der Hauptreferent, Professor Siegfried Zimmer. Ob Jesus Christus wirklich der menschgewordene Gott ist oder vielleicht jemand anderes, lässt er offen. Bei ihm ist Satan nicht der Widersacher Gottes, es gibt keine Verdammnis, und nach seiner Ansicht kann man sich auch noch nach dem Tod bekehren. Solche Aussagen führen völlig von dem weg, was Jesus Christus lehrt. «Worthaus » ist mit seinen Videos und Podcasts aber einer der grössten Medienproduzenten zu Christentumsinhalten in Deutschland und wurde bisher bis zu
acht Millionen Mal aufgerufen. Das ist ein riesiges Problem.
Was hat Sie bei der Analyse der «Worthaus»-Videos besonders überrascht?
Die Selbstverständlichkeit, mit der Kerninhalte des Christentums infrage gestellt, lächerlich gemacht und ausgegeben werden – während man sich selbst als christlich bezeichnet. Zum Beispiel macht sich Siegfried Zimmer über einen 17-Jährigen lustig, der sich in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks als Christ bekannt hat. Das hat mich verblüfft und bestürzt.
«Worthaus» wird von vielen gerne gesehen und gehört. Was macht «Worthaus» richtig?
Das Auftreten ist professionell. Die Internetseite ist ansprechend gestaltet, es gibt eine grosse Themenvielfalt, und es werden die unterschiedlichsten Verbreitungskanäle bespielt. Auf dieser Ebene kann ich nur sagen: ein starkes
Angebot!
Von den Inhalten sind Sie weniger überzeugt. Welche Theologie vertritt «Worthaus»?
Wenn Kirchenhistoriker später einmal auf die 2020er Jahre zurückschauen, könnten sie viele Beiträge von «Worthaus» als «postevangelikal» bezeichnen.
​
Postevangelikal – was ist das?
Postevangelikale sind häufig christlich aufgewachsen und haben im Lauf der Zeit eine Entfremdungserfahrung gemacht. Das könnte eine negative Erfahrung in der Gemeinde sei, oder man hat auf seine theologischen keine überzeugenden Antworten bekommen.
Siegfried Zimmer sagt, er vertrete eine «evangelistische Theologie », «die Glauben wecken und vertiefen will».
​
Dann verstehe ich nicht, warum Zimmer das Verteilen von evangelistischen Traktate als «krank» bezeichnet und evangelikale Christen als «ballaballa», «pervers» und «arme Säcke» beleidigt.
Tut er das?
Das sind alles Aussagen aus Zimmers öffentlichen «Worthaus»-Vorträgen.
Wie hat «Worthaus» auf Ihr Video reagiert?
Noch am selben Abend haben wir von «Worthaus» eine E-Mail bekommen, in der wir dazu aufgefordert wurden, das Video zu löschen. Andernfalls drohten rechtliche Konsequenten. Wir haben geantwortet, dass wir das Video
nicht runternehmen, «Worthaus» hat Wort gehalten, und wir erhielten in den folgenden Tagen mehrere Anwaltsschreiben mit Abmahnungen, darunter von Thorsten Dietz, einer der »Worthaus»-Referenten, persönlich, in denen wir zu Unterlassungserklärungen aufgefordert wurden und von Schadenersatz die Rede war.
Das Video steht bis heute online.
«Worthaus» hat für seine Forderungen keine rechtliche Grundlage: Deshalb haben wir die Abmahnungen abgewehrt. Wie jeder öffentlich einsehen kann, haben wir niemanden persönlich diffamiert, sondern auf einer Sachebene
inhaltliche Probleme aufgezeigt.
​
Unter Ihrem «Worthaus»-Video findet sich ein Kommentar von «Worthaus»-Initiator Martin Hünerhoff: «Worthaus wird von Markus Voss nicht fair und sachlich besprochen. Stattdessen arbeitet sich Markus an einer Version von Worthaus ab, die es nicht gibt.» Ihr «Schnipsel-Video» werde der Vielstimmigkeit, Kompetenz und dem hohen Mass an Hingabe der «Worthaus»-Referenten nicht gerecht: «Es disqualifiziert und verspottet sogar ihre Arbeit! Es redet falsch Zeugnis.»
Sachliche Anfragen sind nicht persönliche Verspottung oder falsches Zeugnis: Auch Theologen müssen sich inhaltlicher Kritik stellen. Der Vorwurf, ich verwende nur «Schnipsel», also Auszüge aus «Worthaus» -Videos, geht ins Leere. Dass man jemanden zitiert, ist gängige wissenschaftliche Praxis – und wird auch von «Worthaus» selbst so gehandhabt. Viel wichtiger sind die inhaltlichen Punkte, auf die «Worthaus» leider gar nicht eingegangen ist.
​
Einer Ihrer Zuschauer kommentierte Ihr «Worthaus»-Video so: «Ich habe Worthaus viel zu verdanken… Man kann Worthaus doch hören und nicht direkt jeden Satz auf die Goldwaage legen.»
Das kann man tun – wir sind schliesslich ein freies Land. Ich frage mich nur: Was bleibt am Ende bei vielen «Worthaus»-Hörern hängen? Wenn diese mir sagen, Jesus wäre nicht für die Sünden der Welt gestorben, das Jüngste Gericht wäre «Psychotherapie unter den Händen Gottes» und man könne sexuell machen, was man will – und sich dafür auf «Worthaus» berufen, dann halte ich das für ein Problem.
Sie selbst haben Evangelische Theologie studiert und Ihr Berufslebenin der Finanzbranche verbracht. Siegfried Zimmer ist evangelischer Pfarrer und lehrte als Professor für Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg – er muss es doch wissen.
Nicht der Sprecher ist entscheidend, sondern das Gesagte: Nur weil sich jemand viele Jahre mit Theologie beschäftigt, hat er nicht automatisch recht. Zimmers Vorträge erhalten Dutzende historische und sachliche Fehler. Es
gibt nun mal keine irdische Autorität, die über jeden Zweifel erhaben ist.
Warum soll ich Ihnen Glauben schenken?
Das müssen Sie nicht. Prüfen Sie alles, was ich sage, an der Heiligen Schrift. Das gilt für Zimmer, für mich und für alle anderen gleichermassen.
​
Nicht wenige Christen halten den Streit darüber, ob Jesus nun eine, zwei oder drei Naturen hat, für Korinthen-Kackerei.
Die Frage, ob Jesus der menschgewordene Gott ist, ist kein Randthema: Fragen Sie mal Muslime danach! Von dieser Frage hängt ab, ob ich Jesus als Gott anbete, ob ich ihn als Erlöser annehme und als Richter anerkenne – deshalb hat Jesus auch immer wieder darüber gesprochen.
Eines Ihrer Videos heisst «10 Lügen über Jesus». Was sind die drei beliebtesten Lügen?
Lüge 1: Jesus hat nie gelebt. Manche halten ihn für eine erfundene, eine mythische Figur. Die Quellen und Informationen über Jesus sind aber weit zahlreicher und detaillierter als das, was wir über die meisten römischen
Kaiser wissen.
Lüge 2: Jesus hatte alle lieb und war niemals zornig. Das ist aber überhaupt nicht so. Das hat sehr klar über das Jüngste Gericht gesprochen und gewarnt: »Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle sterben» (Lukas 13,3-5). Jesus hat immer wieder zu Busse und Umkehr aufgerufen – was in der modernen Verkündigung oft vergessen wird.
Lüge 3: Jesus war ein Wanderguru, der einen politischen Umsturz plante und zur falschen Zeit am falschen Ort war – so hiess es zum Beispiel in einem Vortrag von «Worthaus». Auch das entspricht nicht der Wahrheit. Jesus trat mit einem nie dagewesenen Anspruch auf göttliche Vollmacht auf und wurde deswegen vom Hohen Rat zum Tode verurteilt.
Sind Sie ein fundamentalistischer Feuer- und Schwefel-Prediger, der den Leuten die Hölle heissmacht?
Ist das automatisch etwas Schlechtes? Wird die Botschaft dadurch falsch? Wir müssen den emotionalen Effekt einer Aussage von ihrem Wahrheitsgehalt unterscheiden. Eine Aussage kann sich gut anfühlen und dennoch falsch sein. Sie kann sich auch bedrohlich anfühlen und dennoch wahr sein. Wenn ich Menschen vor dem Jüngsten Gericht warnen und so davor bewahren kann, danke ich Gott für diese Gelegenheit.
​
Die Botschaft vom Jüngsten Gericht war nie populär. Sie ist es heute weniger denn je.
Das ändert nichts daran, dass sie gepredigt werden muss. «Predige das Wort, stehe dazu, es sei zur Zeit oder zur Unzeit», heisst es in der Bibel (2. Timotheus 4,2). 24 der 27 neutestamentlichen Bücher thematisieren Verdammnis,
und Jesus selbst hat 117-mal über das kommende Jüngste Gericht gesprochen. Das können wir nicht einfach unter den Teppich kehren. Wer sagt, dass man als Christ gerettet sei, der muss auch sagen, wovor.
Haben Sie das alles beim Theologiestudium an der Uni gelernt?
Mein Theologiestudium hat mich intellektuell bereichert – dafür bin ich meinen Professoren dankbar. Auf der geistlichen Ebene hat es allerdings bei mir und vielen anderen Studenten dazu geführt, dass wir uns zwar irgendwie als Christen sehen wollten, aber es in unserer Weltanschauung und in unserem Leben keine Unterschiede zu Nicht-Christen gab. Am Ende des Studiums war ich vom Glauben abgefallen.
Wie haben Sie zum christlichen Glauben zurückgefunden?
Durch eine Lebenskrise. Ich hatte eine gesundheitliche Diagnose und musste operiert werden. Da begann ich, mir sehr ernsthafte Fragen zu stellen, und begann, wieder in der Bibel zu lesen, zu beten und geistliche Gemeinschaft
zu suchen.
Vielen Dank für das Gespräch!
​